Freitag, 22. Januar 2010

Tagebücher Margarete Hauptmanns II

Das kommt davon, wenn man bloggt. Das Medium verführt doch sehr dazu, etwas zu schnell zu veröffentlichen. Oder ist das gerade der Reiz des Mediums?

Bernhard hat jedenfalls ganz recht, dass Hauptmanns weiterhin Radio, weiterhin "den Führer" und "Dr. Goebbels" hören, glücklicherweise aber auch anderes.

Das Radio ist übrigens seit dem 8. Dezember 1930 im Haus Wiesenstein: "Zum 1. Mal das neue ausgezeichnete Elektrola-Radio!"

Tagebücher Margarete Hauptmanns

Durch die Lektüre der Rezension Kreimeiers angeregt, habe ich gerade in den Tagebüchern Margarete Hauptmanns nach dem Namen Hitler gesucht. Ist es nicht bedenkenswert, dass Margarete, trotz all ihrer Symphatien gegenüber dem Nationalsozialismus, den Namen Hitler zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 1. Mai 1945 nicht mehr erwähnt?
Bis zur Kriegserklärung Hitlers gegen Russland notiert Margarete gewissenhaft, wenn Hauptmanns die Reden Hitlers im Radio verfolgen. Bis 1939 geben diese Eintragungen vom Enthusiasmus Margaretes (teils auch Gerhart Hauptmanns) Auskunft, wenn sie die Einträge mit Ausrufezeichen markiert oder von "großer" Hitlerrede spricht. Zuletzt kennzeichnet sie ihren Eintrag mit einem Aufrufezeichen am 22. Juni 1941: "Proklamation Hitlers! 1941. Krieg gegen Russland". Danach: Stille. Merkwürdig angesichts der 46 Einträge zwischen 1932 uund 1941, die den Namen Hitler enthalten. Sollte das Radio im Wiesenstein nach 1941 nicht mehr eingeschaltet worden sein? Oder sollte das Radio-Hören keinen Eintrag mehr wert gewesen sein? Oder hat es (auch) bei Margarete ein Umdenken bzgl. Hitler gegeben haben?

Der Dichter stand auf hoher Küste

Es könnte ja so einfach sein, eine "riskante These" aufzustellen. Warum sollte man nicht einfach sagen, Hauptmann war ein Nazi?

Vieles spricht dafür. Etwa, dass sich der 80-jährige Dichter 1942 in Wien und Breslau großangelegt feiern ließ, weil er Hitler bewundernd Respekt zollte, weil er nicht in Rapallo blieb, als Hitler Reichskanzler wurde, weil er weiterhin an ein Deutschland glaubte, das er in Grenzen dachte, die uns heute eher beängstigen, weil er mit Vordenkern der "deutschen Ostforschung" wie Hermann Aubin Umgang pflegte, weil, weil, weil....
Es könnte so einfach sein.

Aber so einfach ist es nicht und so einfach sollte es sich kein Wissenschafter machen. Peter Sprengel, um dessen Buch "Der Dichter stand auf hoher Küste" es hier geht, macht es sich beileibe nicht so einfach. Das ist gut so, denn ein derart einfaches Urteilen sollte nicht zum Usus der Wissenschaft werden, auch wenn "riskante Thesen" Aufmerksamkeit generieren und Wissenschaftler wie Klaus Kreimeier dies scheinbar einfordern (vgl. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/967567/).
Nach Kreimeier entbehrt das Buch Sprengels "einer politischen Gewichtung und einer inspirierten oder gar riskanten These". Es habe ihn gelangweilt; zu viele Details, ein zu großer Zettelkasten habe Sprengel den Blick auf das Wesentliche versperrt, verhindere klare Aussagen. Dabei zitiert er - wohl um sich selbst zu entkräften - Passagen Sprengels, in denen sehr wohl deutlich wird, dass Sprengel nicht blind ist für die Sympathien, die Hauptmann für die Nazis hegte, nicht für seine überaus befremdende Haltung gegenüber emigrierte Kollegen und Freunde. Präzise arbeitet Sprengel all das heraus, aber ebenso die andere Seite Hauptmanns. Jenen Hauptmann der sich selbst die Position auf "hoher Küste" verschreibt, angesichts seiner eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten sein Haus in Agnetendorf von einer in früheren Jahren meist nur wenige Monate im Jahr bewohnten Bleibe zu einer Arche Noah stilisiert, die ihn gleich der hohen Küste über die Wellen der Tagespolitik hinwegretten soll. Ja, in gewisser Weise begibt sich Hauptmann in ein "seltsame[s] Vakuum", das Sprengel tiefschürfend auslotet.

Sprengel macht es sich nicht einfach, verurteilt Hauptmann nicht, sondern versucht vielmehr in guter alter hermeneutischer Tradition zu verstehen - jenen Großdichter der Weimarer Republik. Er versucht zu verstehen, warum Hauptmann zwar Sympathien für Hitler hegte, zugleich aber prophetisch seinen Untergang voraussagt, warum er die geopolitischen Großmachtsgelüste, nicht aber den Rassehygienegedanken der Nazis teilt, warum er sich mit der "Judenfrage" beschäftigt, was ihn aber keineswegs in einen Antisemitismus führt.

Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, ob Hauptmann Opportunist, ob Hauptmann Mitläufer, ob Hauptmann Nazi war. All jenen, die hier keine einfache Antwort erwarten, sondern sich einer überaus spannend zu lesenden Spurensuche oder vielmehr einer Suche nach dem viel- und nicht einschichtigen Hauptmann widmen möchten, sei das Buch von Peter Sprengel ausdrücklich empfohlen.

Peter Sprengel: „Der Dichter stand auf hoher Küste“. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Berlin 2009. 368 S., geb., 24,90 €.

Hier die empfehlenswerte Rezension von Irene Bazinger in der FAZ: http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~ED16024C2C82349C9A2B44873B59F3208~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Freitag, 18. Juli 2008

Morcote, 12. Juli 2008

Morcote liegt am Fuße des Monte Arbòstora 10 km südwestlich von Lugano. In Morcote besuchten Hauptmanns des öfteren Eugen d’Albert; nach dessen Tod sein Grab auf dem Friedhof in Morcote, auf dem auch Alexander Moissi begraben liegt. Da meine Schwester nach dem Sturz beim Abstieg nach Rovio nicht laufen kann, mache ich mich allein auf den Weg nach Morcote, das wir schon bei der Schiffsfahrt nach Capolago von Ferne gesehen hatten. Das kleine Bergdorf schmiegt sich treppenförmig an den Monte Arbòstora.
Treppen sind es auch die mich zum Friedhof führen. In meinem Morcoter Reiseführer wird der Schriftsteller Piero Chiara zitiert, demzufolge der Friedhof "nichts Düsteres an sich hat und eine Ausstellung von marmornen Erinnerungen zu sein scheint, unterbrochen durch vereinzelte Zypressen oder schmale Beete". "Sterben ist schön" steht an der Kirche und genau das scheint der Friedhof vermitteln zu wollen mit seinen unzähligen Kunstwerken und Mausoleen; selbst eine Plastik von Henry Moore ist hier zu bewundern (sie ziert das Grab von Carlo Bombieri).


Hier nun suche ich die Gräber von Alexander Moissi und Eugene d'Albert. Wie mein Reiseführer auf die Idee kommt, das der Grabstein Moissis "viersprachig den Betrachter auf seine letzte Stunde hinweist" bleibt mir ein Rätsel:

Über Moissi schreibt Hauptmann in seinem Aufsatz "Deutschland und Shakespeare":
"Ich vergesse das Antlitz des zum Tode traurigen Spaßmachers nicht, wenn er im letzten Akt vor die Rampe tritt, um seine schwermutsvolle Moral herunterzuleiern. Ich wurde an Golgatha erinnert. In einem Augenblick ward meine Seele durch die Schlachtfelder, Schlafzimmer und Schreckenskammern der Königsdramen, mit Hamlet über die Terrasse von Helsingör bis zum Schädel Ypricks, an den Leichen Opheliens, Des-demonas, König Duncans und, ach, wie vieler anderer vorübergeführt: — »Hop heisa, bei Regen und Wind!«
Das war mehr als des Narren, das war Shakespeares Geist. Es war sein Antlitz, einem gemarterten und gekreuzigten Gotte ähnlich." (CA, VI, 929)
Fast ebenso schlicht wie das Grab Moissis (im Vergleich zu den vielen umgebenden Mausoleen) ist dasjenige von Eugene d'Albert. Der Komponist, der insbesondere mit seiner Oper "Tiefland" (hier das Libretto: http://www.opera-guide.ch/libretto.php?id=11&uilang=de&lang=de) berühmt wurde, zählte zum engeren Freundeskreis Hauptmanns, den Hauptmann in einem Gedicht 1927 als "hochverhrten Nachbarn auf dem Parnass" bezeichnete.

Monte Generoso, 11. Juli 2008

Im April 1896 unternimmt Hauptmann gemeinsam mit Moritz Heimann eine Reise nach Lugano, Copolago und Mendrisio. Von Mendrisio aus erklimmt er den über 1700 Meter hohen Monte Generoso, der sich am östlichen Ufer des Luganer See erhebt. Der Aufstieg von Mendrisio aus ist nur eine der Möglichkeiten, den Gipfel des Berges zu erreichen, wie Hauptmann zum Auftakt des „Ketzer von Soana“ ausführt:
„Reisende können den Weg zum Gipfel des Monte Generoso in Mendrisio antreten oder in Capolago mit der Zahnradbahn oder von Bissone aus über Soana, wo er am beschwerlichsten ist. Das ganze Gebiet gehört zum Tessin, einem Kanton der Schweiz, dessen Bevölkerung italienisch ist.“ (CA VI, 87)
Wir entscheiden uns für die scheinbar bequemere Variante und fahren mit der Zahnradbahn von Capolago zum Gipfel, der in tiefen Nebel gehüllt ist.

Wir entschließen uns zunächst zu einer rund einstündigen Gipfelwanderng bis Bellavista, eine Wanderung, die zwar nebelverhangene, dennoch aber unvergleichliche Blicke auf die Bergwelt ermöglicht:

In Bellavista sehen wir ein kleines Schild, das nach Rovio weist, jener Ort, den Hauptmann in seiner Ketzer-Erzählung als Soana verewigt hat. Das Bergdorf Rovio war ab Hauptmanns zweiter Besteigung des Monte Generoso 1897 sein bevorzugter Aufenthaltsort in der Schweiz. So hält er sich etwa vom 25. März bis zum 6. April 1898 und vom 16. April bis zum 14. Mai 1899 hier auf. Er beginnt hier mit der Niederschrift seiner ersten Fassung des Erzählfragments „Rovio“ (1899-1903), das mit den Herausgebern der Centenarausgabe als ein Versuch einer „Darstellung der Innenwelt des schöpferischen Subjekts“ (CA, XI, 1308) bezeichnet werden kann. Das Schild gibt uns den Hinweis, das für den Abstieg nach Rovio auf dem Monte S. Agata rund zweieinhalb Stunden benötigen würden. Wir machen uns also auf den Weg, der allerdings sehr viel beschwerlicher ist als der schöne Gipfelweg, den wir zuvor gegangen waren. Gute Bergschuhe wären hier angebracht gewesen, die weder meine Schwester noch ich dabei hatten, hatten wir doch gar nicht geplant, Rovio zu Fuß einen Besuch abzustatten. Nach rund einer Stunde Wanderung stürzt meine Schester, so dass wir den weiteren Weg mehr schlecht denn recht vorankommen. Erst gegen sechs Uhr abends eröffnet sich uns ein erster Blick auf Rovio:

"An einem Bergabhang oberhalb des Luganer Sees ist unter vielen anderen auch ein kleines Bergnest zu finden, das man auf einer steilen, in Serpentinen verlaufenden Bergstraße in etwa einer Stunde, vom Seeufer aus gerechnet, erreichen kann. Die Häuser des Ortes, die, wie an den meisten italienischen Plätzen der Umgegend, eine einzige ineinandergeschachtelte graue Ruine aus Stein und Mörtel sind, kehren ihre Fronten einem schluchtähnlichen Tale zu, das von den Auen und Terrassen des Fleckens und gegenüber von einem mächtigen Abhang des überragenden Bergriesen Monte Generoso gebildet wird." (CA, VI, 94)

Dies ist sicherlich nicht der Wasserfall, den Hauptmann in seiner Erzählung schildert, doch erinnert uns der kleine Wasserfall kurz vor Rovio an Hauptmanns Beschreibung zu Beginn seiner Soana-Erzählung:
"In dieses Tal, und zwar dort, wo es wirklich als enge Schlucht seinen Abschluß nimmt, ergießt sich von einer wohl hundert Meter höher gelegenen Talsohle ein Wasserfall, der, je nach Tages- und Jahreszeit und der gerade herrschenden Strömung der Luft mehr oder weniger stark, mit seinem Rauschen eine immerwährende Musik des Fleckens ist." (CA, VI, 94)
In Rovio übernachtete Hauptmann stets im „Kurhaus Monte Generoso“, das 1904 eröffnet wurde, sich heute Park-Hotel Rovio nennt und mit seinem berühmten Gast um Hotelgäste wirbt: http://www.parkhotelrovio.ch/homepagedef.htm. Hier noch ein letzter Blick von Rovio aus auf den Luganer See:

Dienstag, 15. Juli 2008

Lugano, 10. Juli 2008

1890 unternahm Hauptmann erstmals eine Reise zum Luganer See; den von ihm in seiner Erzählung „Der Ketzer von Soana“ verewigten Monte Generosa, der sich mit einer Höhe von rund 1.700 Metern zwischen Luganer und Comer See erhebt, erklimmt er allerdings erst 1896, um in den Folgejahren immer wider nach Rovio, dem Soana seiner Erzählung, und auch nach Lugano zu reisen. Auch zwischen 1924 und 1939 reiste Hauptmann zumeist jährlich entweder im Frühjahr oder im Herbst für mehrere Wochen nach Lugano, wo er im gründerzeitlichem Grand Hotel du Parc immer in den Zimmern 64 und 65 im 2. Stock wohnte. Das Parkhotel wurde bereits 1855 eröffnet und gilt damit als Symbol für den beginnenden Tourismus am Luganer See. Ab 1969 verfiel das Haus zunehmend und soll nun zu einem Kulturzentrum wiederauf- bzw. umgebaut werden (vgl. http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/0d75ee77-abbd-44a8-90c8-d28f48d22c6c.aspx, http://www.nextroom.at/article.php?article_id=5806 und http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/vom_grand_hotel_zum_kulturzentrum_1.783231.html)
Folgt man dem Tagebuch Margarete Hauptmanns so spielt sich ihr Leben in erster Linie in ihrem Hotel, insbesondere der dortigen Bar, und dem Café Huguenin ab. Mitunter trifft man sich auch mit Freunden und Bekannten im Bierlokal Gambrinius oder in den umliegenden Hotels, etwa dem Continental, der Villa Castagnola, dem Strand-Hotel Seegarten oder dem Hotel Splendide. In den 30er Jahren wird das Tableau um die Konditorei Berner und Zwahlen, das Cafe Vanini und das Restaurant Biaggi erweitert.
Die Hotels Coninental und die Villa Castagnola gibt es noch heute, hier das sehr schöne Grand Hotel Villa Castagnola:
Auch die Confiserie Vanini lädt weiterhin seine Gäste am angestammten Ort in der Via Nassa 9 wie auch jetzt auf der Piazza Riforma ein. Hier ein Bild vom Cafe in der Via Nassa:

Das Cafè Biaggi lag an der Via Pessini unweit der Piazza della Riforma in Lugano und war ein beliebter Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen. Das Restaurant war bis 1942 im Besitz der Familie Biaggi; heute heißt es Ristorante Grand Café Al Porto (vgl. http://www.grand-cafe-lugano.ch/ristorante/storia.cfm):
Spaziergänge führen Hauptmanns nicht nur zum Monte Brè oder zum Monte San Salvatore, sondern auch in den Stadtteil Loreto, wo sie die 1524 erbaute Kirche Santa Maria di Loreto besichtigten:

Donnerstag, 10. Juli 2008

Locarno, 9. Juli 2008

Vor unserem Ausflug in das Maggia-Tal suchten wir noch das Sanctuarium Artis Elisarion (http://www.minusio.ch/elisarion.asp?MM=4&SM=28) in Minusio auf. Das Haus wurde 1926/1927 für Elisar von Kupffer und Eduard von Mayer erbaut und gilt als einer der wenigen Tempelbauten des 20. Jahrhunderts. Hauptmann besuchte das Sanctuarum am 28. November 1931 und traf hier mit den beiden Begründern des Klarismus zusammen. Wir stehen leider vor verschlossener Tür mit dem Schild "Geschlossen bis 14. Juli". Das Hauptwerk Kupffers, das Gemälde "Klarwelt der Seligen", für das das Sancturarium um einen Anbau erweitert wurde, ist allerdings heute nur mehr noch als Kopie hier zu sehen. Das Original befindet ich auf dem Monte Verità.